Theodor Moonen

Portraitfoto
Alter:
44 Jahre
Geburtsort:
Haaren (15.06.1899)
Todesort:
Stuttgart (08.03.1944)
Todesursache:
Enthauptung
Nationalität:
Niederlande
Zuordnung:
Hingerichtete

Theodor Moonen war das Opfer eines blutrünstigen NS-Urteils.

Die Aufarbeitung seines traurigen Schicksals vermittelt tiefe Einblicke in die Geschichte des Gräberfeldes X auf dem Tübinger Stadtfriedhof.[1]

Theodor Moonen ruht an einem heute nicht mehr genau lokalisierbaren Ort im Gräberfeld X des Tübinger Stadtfriedhofs. Er wurde dort erst 1952, also sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestattet. Moonen war Niederländer, also Ausländer, wie viele andere der Toten des Gräberfeldes auch. Wir wissen nicht, wie er in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen wurde. Seine Biografie beginnt für uns erst am 8. März 1944. An diesem Tag wurde er in Stuttgart enthauptet. Er war von einem NS Sondergericht in Saarbrücken als »Volksschädling« zum Tode verurteilt worden. »Volksschädling« – das war ein Rechtsbegriff der Nazis – ein Unrechtsbegriff. So wurden damals Menschen bezeichnet, die dem NS-Staat angeblich in irgendeiner Weise geschadet hatten. Häufig waren es nur kleine Diebstähle, die oft aus einer Notlage heraus begangen wurden.

Bericht der Saarbrücker Zeitung vom 18.2.1944 über das Todesurteil. Quelle: Landesarchiv Saarbrücken.

Sofort nach Moonens Enthauptung in Stuttgart schaffte man seinen Leichnam in die Anatomie nach Tübingen. Diese erhielt in jenen Jahren zahlreichen Nachschub – mehr als 1000 Tote waren es, die während der NS-Zeit nach Tübingen gebracht und hier seziert wurden. Die Toten stammten nicht nur wie Moonen aus Gefängnissen, sondern auch aus Lagern, Heilanstalten oder Pflegeeinrichtungen. Es handelte sich um Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, um Widerstandskämpfer oder Deserteure. Man hatte sie hingerichtet, zu Tode geschunden oder medizinisch unversorgt gelassen. Sie starben an mangelhafter Ernährung oder ließen ihr Leben wegen fehlender Hygieneeinrichtungen. Nach der Sektion wurden die meisten Körper verbrannt und ihre Asche anonym im Gräberfeld X, in einem Massengrab bestattet.

Über die eingelieferten Toten wurde in einem »Leichenbuch« der Anatomie Buch geführt.[2] Dieses eigenartige Zugangsbuch beschreibt Theodor Moonen als blonden Mann. Sein Alter wird mit 45 Jahren angegeben. Dann folgen ein paar technische Hinweise. Demnach konservierten die Anatomen den Leichnam mit »Alkohol Carbol und Formalin« und bezeichneten ihn als »Muskel-Leiche«, diese sollte »für wissenschaftliche Zwecke verwendet« werden. Als Aufbewahrungsort im Institut wurde eine »Kiste« mit der Nummer 17 angegeben. Das Besondere aber dabei war: an diesem Zustand änderte sich volle acht Jahre lang nichts! Während Moonen irgendwo im Anatomischen Institut abgestellt war, wurde Tübingen von den Franzosen besetzt, der Zweite Weltkrieg beendet und schließlich die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Erst zu Beginn der 1950er Jahre kam wieder Bewegung in die Sache.

Auszug aus dem Leichenbuch. Quelle: UAT 174/37.

Mittlerweile forschten die Niederländer nach dem Verbleib ihrer Landsleute, die nicht aus dem Krieg heimgekehrt waren. Zu diesem Zweck unterhielten sie eine eigene Kommission beim Internationalen Suchdienst in Arolsen: die sogenannte »Netherlands Tracing Mission«. Diese Kommission wandte sich 1952 an die Universität Tübingen und verlangte die Bestattung des mittlerweile ermittelten Leichnams. Der finale Eintrag im Leichenbuch der Anatomie lautet deshalb: Theodor Moonen wurde »am 6. März 1952 auf dem städtischen Friedhof Tübingen beigesetzt und beerdigt – auf Anordnung der Netherlands Tracing Mission in Arolsen«.

Wegen dieser Beisetzung sieben Jahre nach dem Krieg und fast genau acht Jahre nach seinem Tod wurde Moonen bei allen Erfassungen von Kriegsopfern nicht berücksichtigt. Er wurde auch nicht mehr in dem einstigen Massengrab bestattet. Stattdessen erhielt er ein Extragrab am Rande des Gräberfeldes X. Die Grablage ist in den Quellen des Stadtfriedhofs dokumentiert. Moonens Grab bekam die Bezeichnung: »Gräberfeld X, Reihe IV, Grab Nummer 13«. Diese Grabbezeichnung wurde den Niederländern schriftlich mitgeteilt und genau so ist sie bis heute auf einer niederländischen Internetseite von Kriegsopfern verzeichnet.[3]

Leider ist die Geschichte von Theodor Moonen damit noch nicht zu Ende erzählt! Denn sein Grab, sein selbstverständlich zu erhaltendes Kriegsgrab, existiert heute nicht mehr sichtbar. Kein Angehöriger aus den Niederlanden hätte eine Chance es noch zu finden. Der Grund dafür: 1980 wurde das Gräberfeld X umgestaltet. Das Grab von Moonen schien dabei verzichtbar. Es wurde einfach deshalb entfernt, weil seine Geschichte mittlerweile in Vergessenheit geraten war.

Doch Moonens Grab war kein Einzelfall. De facto wurden 1980 mehr als 30 Kriegsgräber am Rande der Anlage zerstört – so berichtet es eine Mitteilung der Stadtverwaltung an den Gemeinderat vom 15. Februar 1980. Mehr als 30 mit einem Stein bezeichnete Gräber sind damals verloren gegangen. Sie wurden – ich zitiere aus den Akten bei der Friedhofsverwaltung von 1980 »bedauerlicherweise … entgegen einer ausdrücklichen Weisung aufgrund eines Mißverständnisses … entfernt«. Bis heute fand sich leider kein einziges Foto von den zerstörten Gräbern.[4] Die Namen der Bestatteten sind aber im Stadtarchiv überliefert.

Die damalige Umgestaltung verursachte bekanntlich starke Kritik in der Öffentlichkeit und führte schließlich in Tübingen zur Neuorientierung im Umgang mit dem Gräberfeld X. Die wichtigste Änderung damals: Der Gemeinderat beschloss, auf dem Gräberfeld X sechs Bronzetafeln anbringen zu lassen mit den Namen sämtlicher NS-Opfer. Ende gut – alles gut?

Keineswegs! In einem mehr als gedankenlosen Akt nahm man damals eine ältere Liste von NS-Opfern aus den 1960er Jahren zur Hand. Trotz ihrer zahlreichen Fehler wurde diese Liste im Jahr 1980 ohne weitere Forschungen zur Herstellung der sechs Bronzetafeln herangezogen. Damals wurden also 517 Opfer auf den Tafeln erstmals namhaft gemacht – wohlgemerkt 517 Opfer von mehr als 1000 Personen, die hier tatsächlich bestattet sind. Die ausgewählten wurden damals zu NS-Opfern erklärt, ohne allerdings dabei Nachforschungen anzustellen oder die Kriterien für die Auswahl der Opfer zu dokumentieren. Zu den 1980 vergessenen Opfern gehörte auch Theodor Moonen. Seine Geschichte ist damit allerdings immer noch nicht zu Ende erzählt. Erst 2019 stellte sich nämlich heraus, dass seine Gerichtsakten von 1944 im rheinland-pfälzischen Landesarchiv in Speyer erhalten geblieben sind.[5] Ihr Inhalt ist bemerkenswert:

Demnach lebte und arbeitete Moonen als Zimmermann in Ludwigshafen. Laut offizieller Studie der Stadt Ludwigshafen war er damit einer von 50.000 ausländischen Arbeitern, die Hitlers Kriegsindustrie in der Rhein-Neckar-Metropole am Laufen halten mussten. Es bestätigte sich rasch, was schon zu vermutet war: Moonen hatte tatsächlich nur kleinere Diebstähle begangen. Außerdem ging aus den Unterlagen hervor, dass er krank war. Er brauchte das Geld für eine anstehende Operation, die er sich sonst nicht hätte leisten können. Im Prozess zeigte er große Reue für sein Verhalten und konnte alle Bestohlenen entschädigen, weil das Geld, das er gespart hatte, noch vorhanden war.

Und noch etwas: Moonen war nicht alleinstehend! Er hatte eine deutsche Verlobte namens Anna Alexander. Anna war es, die ihrem Geliebten einen kompetenten Rechtsanwalt besorgte. Moonen wurde also gut verteidigt. Doch der Anwalt konnte nicht viel ausrichten. Das Gericht machte kurzen Prozess. Auch das nach dem Todesurteil eingereichte Gnadengesuch wurde sofort abgelehnt. Man schaffte Moonen umgehend nach Stuttgart, wo er wie viele andere auch im Hof des Justizgebäudes enthauptet wurde.

Schon zwei Jahre nach dem Krieg (1947) versuchte Anna, ihren Verlobten als Opfer des Faschismus anerkennen zu lassen. Daraufhin wurde sein ehemaliger Rechtsanwalt, Dr. Richard Müller-Mattil, ausfindig gemacht und befragt. Er verfasste eine eindrucksvolle Stellungnahme. Darin bestätigte er das Verhältnis zwischen Theodor Moonen und Anna Alexander und beschrieb die dem Angeklagten zur Last gelegten geringen Straftaten, die lediglich zur Finanzierung einer dringenden Operation dienen sollten.

Außerdem führte der Rechtsanwalt aus: Bei diesen Umständen hätte Moonen normalerweise nur ein bis zwei Jahre ins Gefängnis müssen. Doch das Sondergericht Saarbrücken sei damals für seine besondere Strenge bekannt gewesen. Es verurteilte Moonen als »Volksschädling schlimmster Art… mit gemeiner und niederträchtiger Gesinnung«. Das Fazit des Anwalts: »Das Urteil war ein wurzelechtes, blutrünstiges in seiner Schärfe maßlos übertriebenes nationalsozialistisches Urteil«. Es hat der Antragstellerin den »künftigen Ehemann genommen«.[6]

Doch so positiv, wie uns diese Stellungnahme des Juristen heute erscheinen mag, so wenig nützlich war sie für die Hinterbliebene. Wenig später erhielt sie die amtliche Mitteilung, dass nach den vorliegenden Ermittlungen man nicht in der Lage sei, Moonen als Opfer des Faschismus anzuerkennen. Das war 1947.

Doch im Jahr 1993 (also 46 Jahre später) kam es zu einem weiteren Nachspiel: Damals beantragte die zuständige Staatsanwaltschaft Frankenthal in der Pfalz die Wiederaufnahme des Verfahrens von Theodor Moonen. Sie berief sich dabei auf das rheinland-pfälzische Landesgesetz zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts (vom 23. März 1948). Dem Antrag wurde nun statt gegeben: Am 23. März 1993 beschloss die dritte Strafkammer des Landgerichts Frankenthal in der Pfalz die Aufhebung des Urteils vom 16.2.1944 gegen Theodor Moonen.[7]

Es ist nicht bekannt, ob diese Urteilsaufhebung nach so vielen Jahren noch irgendjemandem mitgeteilt wurde. In den Akten der Staatsanwaltschaft ist darüber nichts enthalten. Was wurde aus Anna Alexander, Theodor Moonens Geliebten, in Ludwigshafen? Würde sie noch leben, wäre sie heute hochbetagt. Die Recherche des Stadtarchivs Tübingen kam vermutlich ein paar Jahre zu spät. Dem Pfarrblatt der Pfarrei Heilige Cäcilia in Ludwigshafen (Nr. 7 von 2017) konnte ich via Internet entnehmen, dass eine Anna Alexander vor ein paar Jahren gestorben war, dass aber bis heute jährlich einmal ihrer in einer Messe gedacht wird. Das zuständige Pfarramt hat leider auf schriftliche Anfrage nicht reagiert. Wir hatten gehofft, dass sich noch irgendjemand in der Gemeinde an sie erinnert.

Letzter Akt in dieser Geschichte: Die Universitätsstadt Tübingen hat im 2019 aufgestellten Gedenkbuch auf dem Gräberfeld X den Namen von Theodor Moonen ergänzt.


[1] Bei dem Text handelt es sich um den Ausschnitt einer Gedenkrede, die Stadtarchivar Udo Rauch am 25. Juni 2019 bei der Enthüllung des neuen Gedenkbuches am Gräberfeld X gehalten hat. Weitere Informationen dazu finden Sie auf der Homepage der Universitätsstadt Tübingen.
[2] Universitätsarchiv Tübingen UAT 174/08, Eintrag Nr. 27 im Jahr 1944.
[3] Abgerufen am 25. Juni 2019 https://oorlogsgravenstichting.nl/persoon/106016/theodor-moonen#. Der Eintrag für Moonen wurde dort mittlerweile gelöscht, weil seine niederländische Staatsangehörigkeit nach einer jüngst erfolgten Prüfung in Zweifel gezogen wird (Mitteilung des niederländischen Webseitenbetreibers an das Stadtarchiv Tübingen vom 13.8.2019).  In den deutschen Gerichtsakten (Landesarchiv Speyer J72 / 545) wird Moonen als Niederländer geführt. Sein Vater war Niederländer und Theodor Moonen verbrachte den größten Teil seines Lebens in den Niederlanden. Das so niederländisch klingende Haaren, sein Geburtsort, liegt allerdings nicht in den Niederlanden, sondern ist heute ein Stadtteil von Aachen.
[4] Kopien im Stadtarchiv Tübingen A200/6307 Gräberfeld X, 1 Fasz., 1980-1999.
[5] Landesarchiv Speyer J72/545 Strafprozess Theodor Moonen, J86/3568 Gefangenenakte Theodor Moonen, J1/1097 Theodor Moonen, R19/10109 Wiedergutmachung Theodor Moonen.
[6] Landesarchiv Speyer R19/10109 Wiedergutmachung Theodor Moonen.
[7] Landesarchiv Speyer  J72/545 Staatsanwaltschaft Frankenthal in der Pfalz.

Gastautor: Udo Rauch, Stadtarchiv Tübingen

Mai 2021