20.02.2023

Ausstellung “Entgrenzte Anatomie” & Begleitprogramm

Am 17. April 2023 haben wir die Ausstellung “ENTGRENZTE ANATOMIE. Eine Tübinger Wissenschaft und der Nationalsozialismus” in der Alten Anatomie am Österberg eröffnet.

  • Ort: Alte Anatomie, Österbergstraße 3, 72074 Tübingen
  • Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. zwischen 10 und 17 Uhr
  • Eintritt frei
  • Laufzeit: 18. April bis 30. September 2024 (verlängert!)

Studierende der Geschichtswissenschaft und der Medizin haben die Ausstellung in drei Lehrforschungsprojekten unter der Leitung von PD Dr. Henning Tümmers und Leonie Braam, M.A. (Institut zur Ethik und Geschichte der Medizin) sowie Prof. Dr. Benigna Schönhagen und Stefan Wannenwetsch, M.A. (Gräberfeld X-Projekt am Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften) erarbeitet. Das interdisziplinäre Ausstellungsprojekt entsteht in Kooperation mit Prof. Dr. Bernhard Hirt (Institut für Klinische Anatomie und Zellanalytik) und Prof. Dr. Ernst Seidl (Museum der Universität Tübingen MUT).

Termine für Führungen

  • 08.05. um 17:30 Uhr (Studierende aus den Lehrforschungsprojekten) | Vor dem Vortrag von Sabrina Müller (siehe Begleitprogramm unten)
  • 22.05. um 17:00 Uhr (Henning Tümmers)
  • 05.06. um 17:00 Uhr (Leonie Braam)
  • 12.06. um 17:30 Uhr (Studierende aus den Lehrforschungsprojekten)
  • 19.06. um 17:00 Uhr (Stefan Wannenwetsch) | Vor dem Vortrag von Michael von Cranach (siehe Begleitprogramm unten)
  • 03.07. um 17:30 Uhr (Studierende aus den Lehrforschungsprojekten) | Vor der Filmvorführung von “Viktors Kopf” und dem Gespräch mit der Regisseurin Carmen Eckhardt (siehe Begleitprogramm unten)
  • 10.07. um 17:00 Uhr (Henning Tümmers)
  • 18.09. um 17:30 Uhr (Studierende aus den Lehrforschungsprojekten) | Vor dem Vortrag von Stefan Wannenwetsch (siehe Begleitprogramm unten)
  • 24.07. um 17:00 Uhr (Benigna Schönhagen) | Vor der Lesung durch Studierende (siehe Begleitprogramm unten)
  • 25.09. (Stefan Wannenwetsch) | Vor dem Vortrag von Benigna Schönhagen und Stefan Wannenwetsch (siehe Begleitprogramm unten)

Bei jeder Führung wird im Anschluss die SDR-Dokumentation “Ethik und Wissenschaft” von Willy Reschl aus dem Jahr 1988 gezeigt. Gerne auch Führungen auf Wunsch, dazu wenden Sie sich bitte an: graeberfeldx@uni-tuebingen.de

Termine fürs Sticken der Textilinstallation

In die Ausstellung führt eine Textilinstallation von Stephan Potengowski und Margarete Warth mit den Namen von Anatomietoten, auf Leichentücher zum nachsticken geschrieben. Sie können sich eines der Leichentücher aussuchen und unter Anleitung von Margarete Warth den Namen in einfachen Stichen selbst sticken – als praktische, meditative Erinnerungsarbeit.

Frau Warth hat sich bereit erklärt, gegebenenfalls auch außerhalb der angegebenen Tage einen Termin zu vereinbaren. Hier ihre Email-Adresse: margaretewarth@gmail.com.

In der Ausstellung liegt eine Liste bereit, in die Sie sich eintragen können. Die Termine sind immer von 13:00 bis 16:00 Uhr. Aktuelle Termine finden Sie unter Termine.

Ausstellungskatalog

Den Ausstellungskatalog können Sie bei Charlien Wolf in der Alten Anatomie, auf dem Schloss Hohentübingen und im Shop des Museums der Universität Tübingen für 29,90 € erwerben. Außerdem können Sie uns gerne per Mail bzgl. Katalogen anfragen.

Begleitprogramm

Neben dem Katalog, begleitet ein Veranstaltungsprogramm mit renommierten Expert:innen der Medizingeschichte und studentischen Beiträgen die Ausstellung vom Februar bis Oktober 2023.

Die Termine des Begleitprogramms sind hybrider Form geplant:

  • Ort: Großer Hörsaal der Alten Anatomie (Österbergstraße 3, 72074 Tübingen)
  • Zoom-Zugangsdaten: Meeting-ID: 975 3069 2580 | Kenncode: 320392

Anatomie im Nationalsozialismus

  • 27.02.2023 | 19:00 Uhr | Sabine Hildebrandt (Boston): Die Leichen im Keller. Die Anatomie im Nationalsozialismus und ihr Vermächtnis 
    Die Anatomie kollaborierte auf mehrfachen Ebenen mit dem nationalsozialistischen Regime. Besonders deutlich wird dies in der gesetzlich geregelten Nutzung der Leichen von hingerichteten Wiederstandkämpfern und anderen Opfern nationalsozialistischer Gewalt für anatomische Lehre und Forschung. Zu dem Vermächtnis dieser Zeit gehören nicht nur Publikationen, sondern auch menschliche Überreste, die sich nach Kriegsende zum Teil noch jahrzehntelang in den anatomischen Instituten befanden. Diese Geschichte wird erst seit den späten 1980iger Jahren systematisch analysiert, beginnend mit einer beispielhaften Untersuchung in Tübingen.
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  • 06.03.2023 | 19:00 Uhr | Hans-Joachim Lang (Tübingen) : Von der Mitgift eines Massenmörders. August Hirt und das Tübinger Anatomie-Institut
    Die Leichen der auf seine Initiative hin ermordeten 86 jüdischen Frauen und Männer hatte der Straßburger Anatomie-Professor August Hirt nicht mehr als Ausstellungsstücke präparieren können. Sie ließ er in seinem Uni-Institut im Elsass zurück. Mit den kriegsbedingt im Herbst 1944 ausgelagerten Geräten begann er in den darauffolgenden Wochen im Tübinger Anatomischen Institut ein Labor einzurichten. Was hatte Hirt mit einigen seinen Mitarbeitern hier vor?
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  • 13.03.2023 | 19:00 Uhr | Sara Doll (Heidelberg): Die  Anatomische Sammlung in Heidelberg. Versuche der Herkunftsklärung
    Im Rahmen der Provenienzforschung wird seit Jahren versucht zu klären, wie die Herkunft anatomischer Präparate nachzuverfolgen ist. Am Beispiel der Anatomie Heidelberg sollen exemplarisch die Bemühungen aufgezeigt werden, wie aktuell mit ungeklärten Präparaten umgegangen werden kann, wenn bereits solche aus einem Unrechtskontext bestattet wurden.
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  • 20.03.2023 | 19:00 Uhr | Margit Berner (Wien): Die “rassenkundliche” Untersuchung jüdischer Familien im Ghetto Tarnów 1942
    Im März 1942 fotografierten und untersuchten zwei ehrgeizige junge Wiener Anthropologinnen 106 jüdische Familien im deutsch besetzen Polen. In der Stadt Tarnów wollten sie angeblich „typische Merkmale der Ostjuden“ erforschen. Sie wussten von der bevorstehenden Deportation und drängten deshalb zur Eile. Insgesamt erfassten und fotografierten sie 565 Männer, Frauen und Kinder. Die Fotografien entdeckte Margit Berner 1997 im Naturhistorischen Museum in einer Schachtel mit der Aufschrift „Tarnow Juden 1942“. Durch umfangreiche Recherchen gelang es ihr, die Fotos namentlich zuzuordnen und die Geschichten der Porträtierten zu dokumentieren.
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  • 17.04.2023 | 18:00 Uhr | ERÖFFNUNG der Ausstellung und Vortrag Götz Aly (Berlin): Die NS-Gewaltherrschaft als Glücksfall für die Forschung. Verdienste, Ruhm und Ehre der Anatomen H. Voss, J. Hallervorden & H. Stieve
    (-> Zur Aufzeichnung auf YouTube)
  • VERSCHOBEN auf den 25.09.2023! 
    24.04.2023 | 19:00 Uhr | Benigna Schönhagen & Stefan Wannenwetsch (beide Tübingen): Von der Armen- zur Rassenanatomie. Das Tübinger Beispiel

Opfergruppen

  • 08.05.2023 | 19:00 Uhr | Sabrina Müller (Stuttgart): Opfer der NS-Strafjustiz und der Gestapo (Zur Aufzeichnung)
    Die Ausschaltung politischer Gegner, die Unterdrückung einer kritischen Öffentlichkeit und die Vernichtung von Menschen, die nicht zum nationalsozialistischen Konstrukt der „Volksgemeinschaft“ passten, waren die Ziele von NS-Strafjustiz und Gestapo. Todesstrafen und Hinrichtungen spielten ebenso wie Exekutionen ohne Gerichtsurteil eine wichtige Rolle im Terrorsystem der NS-Zeit. Der Vortrag beleuchtet die Radikalisierung der Strafjustiz ab 1941 und die nationalsozialistische Urteilspraxis, die eine enorme Zunahme der Hinrichtungen bewirkte. In den Blick rücken die Menschen, die wegen politischen Widerstands oder als sogenannte „Volksschädlinge“ unter dem Fallbeil starben. Wie lassen sich die Geschichten polnischer Zwangsarbeiter rekonstruieren, die nach Exekutionen in die Anatomie verbracht wurden?
  • 19.06.2023 | 19:00 Uhr | Michael von Cranach (München): Verpasster Neuanfang 1945. Die vergessenen Opfer der nationalsozialistischen Krankenmorde (Zur Aufzeichnung)
    Zwischen 1939 und 1945 wurden im Reichsgebiet 230 000 Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen von Ärzten und Pflegepersonen ermordet. Trotz ausführlicher Dokumentation für die Nürnberger Ärzteprozesse verliert sich danach das Interesse an einer weiteren Auseinandersetzung. Es beginnt eine jahrzehntelange Periode des Leugnen und Vergessen.
    An Beispielen soll das mangelnde Unrechtsbewusstsein der Täter und Mittäter beleuchtet werden sowie die Dreistigkeit, mit der zaghafte Versuche der Dokumentation und Auseinandersetzung behindert wurden. Persönliche Kontinuitäten in den psychiatrischen Einrichtungen, Universitäten wie Kliniken, verhinderten einen Neuanfang. Dadurch verpasste die deutsche Psychiatrie die in den 50er Jahren an vielen Orten der Welt stattgefundenen Bemühungen um eine neue humane, menschenrechtsorientierte Psychiatrie. Erst in den 80er Jahren nahm eine neue Generation diese Ansätze in der Bundesrepublik auf. Es zeigte sich, dass das Gelingen der Reform mit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eng verbunden ist. Diese Auseinandersetzung ist bis heute nicht abgeschlossen.
  • 03.07.2023 | 19:00 Uhr | Carmen Eckhardt (Köln): Viktors Kopf. Eine Spurensuche (ausschließlich in Präsenz!)
    Carmen Eckhardt ist die Urenkelin von Georg Viktor Kunz. Er hatte sich mit einer Widerstandsgruppe dem Hitler-Regime entgegengestellt. 1943 wurde er vom Präsidenten des Volksgerichtshofs für „immer ehrlos“ erklärt und zum Tode verurteilt. Er kommt in Stuttgart unter das Fallbeil, seine Leiche in die Tübinger Anatomie. Seine sterblichen Überreste ruhen im Gräberfeld X. Seine Urenkelin Carmen Eckhardt schildert in dem Film ihren Kampf um seine Rehabilitation. Aber das 1998 vom Bundestag verabschiedete NS-Aufhebungsgesetz hebt NS-Urteile pauschal auf und macht die juristische Würdigung von Einzelschicksalen unmöglich.
  • 17.07.2023 | 19:00 Uhr | Jens Kolata (Frankfurt): Die Verfolgung von “Asozialen” im Nationalsozialismus in Württemberg und Hohenzollern (Zur Aufzeichnung)
    Im Sommer 1938 stellten Personen, die als ‚Asoziale‘ stigmatisiert wurden, zeitweise die größte Gruppe der Häftlinge in Konzentrationslagern. Der Vortrag gibt einen Überblick, welchen Verfolgungsmaßnahmen die Angehörigen dieser heterogenen Gruppe in der Zeit des Nationalsozialismus durch Kriminalpolizei, Gestapo, Justiz sowie kommunale Behörden ausgesetzt waren. Dabei liegt der Fokus auf der Rolle von spezifischen Zwangseinrichtungen wie Arbeitshäusern, Beschäftigungsanstalten und ‚Arbeitserziehungslagern‘ in Württemberg und Hohenzollern sowie auf der Verschleppung von Betroffenen in Konzentrationslager.
  • 24.07.2023 | 19:00 Uhr | Lesung: Vergessene Namen, verlorene Geschichten. Tübinger Anatomietote im Nationalsozialismus (Zur Aufzeichnung)
    Hinter den Humanpräparaten der Tübinger Anatomie stehen Menschen, die ungeachtet ihrer Lebensgeschichten zu Arbeitsmaterial reduziert wurden. Ihre Geschichten sollen erzählt werden. Eine Lesung Tübinger Studierender.
  • 31.07.2023 | 17:00 Uhr | Kennen Sie Tübingen?
    Führung durch Studierende „Vom Gräberfeld X zur Anatomie“, Treffpunkt: Gräberfeld X im Rahmen der Veranstaltungsreihe der Universitätsstadt Tübingen
  • 18.09.2023 | 19:00 Uhr | Stefan Wannenwetsch (Tübingen): Ausgeliefert. Sowjetische Kriegsgefangene in der Tübinger Anatomie (Zur Aufzeichnung)
    Es ist eine Opfergruppe, die der Geschichte der Tübinger Anatomie im Nationalsozialismus ihre Besonderheit verleiht: die 156 sowjetischen Kriegsgefangenen. Wohl keine andere Anatomie nutzte früher die Körper toter Rotarmisten, kaum eine übte diese Praxis über einen längeren Zeitraum aus und wohl nur Straßburg bezog eine noch größere Anzahl. Wie lässt sich diese Tübinger Besonderheit erklären? Und wer waren die Menschen, deren Körper die Anatomie völkerrechtswidrig ausnutzte?
  •  25.09.2023 | 19:00 Uhr | Benigna Schönhagen & Stefan Wannenwetsch (beide Tübingen): Von der Armen- zur Rassenanatomie. Das Tübinger Beispiel | Ersatztermin für den 24.04.2023! (Zur Aufzeichnung)
    Die Beschäftigung mit der Rolle anatomischer Institute in NS-Deutschland fokussiert bislang auf den bedenkenlosen Nutzen, den die Anatomen aus der massenhaften Verfügbarkeit an Hingerichteten für ihre Lehre und Forschungen gezogen haben. Die Untersuchung der Tübinger Anatomie rückt aber eine weit größere Zahl an Menschen in den Blick, die, aus sozial-rassistischen Gründen ausgegrenzt und interniert, oft gewaltsam zu Tode kamen. Gleichzeitig sank die Zahl der Ortsarmen, die außerhalb von Einrichtungen starben. Was bedeutet diese Verlagerung von einer Armen- zu einer Rassenanatomie für die Beurteilung der Rolle der Anatomie im Nationalsozialismus? Welche Kontinuitätslinien sind damit verbunden? Welche Konsequenzen haben Anatomen nach 1945 daraus gezogen?
  • 30.10. 2023 | 19:00 Uhr | Diskussion: Lehre oder Leere. Vom zukünftigen Umgang mit Human Remains (Zur Aufzeichnung)
    Podiumsdiskussion zum Ende der Ausstellung mit Prof. Dr. Bernhard Hirt, Tübingen und Prof. Dr. Andreas Winkelmann, Moderation: PD Dr.Henning Tümmers und Leonie Braam, M.A., beide Tübingen