Alois Schnellinger

Portraitfoto
Alter:
29 Jahre
Geburtsort:
Fachsenfeld (14.04.1907) (Quelle: StAL E 188 b Bd. 1, Einweisungsbuch 1935-117)
Kreis: Aalen
Todesort:
Vaihingen-Enz /Kreiskrankenhaus (08.03.1937) (Quelle: StAL E 188 b Bd. 1, Einweisungsbuch 1935-117)
Todesursache:
Lungentuberkulose (Quelle: Leichenbuch)
Nationalität:
Deutschland
Zuordnung:
Insassen von Arbeitshäusern und -lagern
Aufenthalte:
»Arbeitshaus« Vaihingen (15.10.1935-08.03.1937)
Krankenhaus (04.12.1935-26.02.1936)
Kreiskrankenhaus Vaihingen (07.09.1936-08.10.1936)
Kreiskrankenhaus Vaihingen (03.1937-08.03.1937)

Alois Schnellinger wurde 1907 in Himmlingsweiler bei Fachsenfeld im Ostalbkreis geboren, in eine katholische Familie hinein, welche in prekären Verhältnissen lebte, wie man heute sagen würde.

Im Rahmen einer privaten Stammbaumforschung fiel bei der Durchsicht eines Familienregisters bei seinem Eintrag auf:

a) geboren in Himmlingsweiler aber gestorben in Vaihingen/Enz und

b) gestorben im jungen Alter von knapp 30 Jahren.

Die daraufhin recherchierten Informationen waren spärlich, ermöglichten es aber, seinen kurzen Lebensweg nachzuvollziehen. Mündliche Überlieferungen oder gar Fotos gab es leider nicht, da die Generation, welche ihn gekannt hatte, verstorben ist und auch sonst nichts überliefert wurde. Vieles aus der Zeit, in der er gelebt hatte, und der Zeit danach war und ist mit dem Mantel des Schweigens bedeckt.

Elternhaus

Ein kurzes, bewegtes und wenig glückliches Leben hatte der Alois Schnellinger. Seine Eltern Anna und Melchior Schnellinger hatten dreizehn Kinder und Alois war der Jüngste. Die Mutter stammte aus dem kleinen Dorf Schlipsheim bei Augsburg und der Vater aus Himmlingsweiler, welches vor 1863 noch Pfannenstiel hieß, und die Heimat eines ärmeren Teils der Bevölkerung war. Von Beruf war er Korbmacher und später Taglöhner. Im Februar 1890 kam ihre erste Tochter in Schlipsheim zur Welt, die nach ihrer Mutter ebenso Anna getauft wurde. Als sie im September desselben Jahres heirateten, war die Mutter Anna 22 Jahre und der Vater Melchior 29 Jahre alt. Danach zog die kleine Familie nach Himmlingsweiler bei Aalen. Himmlingsweiler war ein ärmlicher, abgehängter Weiler und erhielt erst 1906 eine Wasserleitung. Eine Stromversorgung wurde gar erst 1925 eingerichtet. Bis dahin gab es zur Beleuchtung nur Petroleumlampen oder Kerzenlicht.

Kindheit und Jugend

Siebzehn Jahre nach dem ersten Kind brachte die Mutter Anna mit 39 Jahren den kleinen Alois Schnellinger zur Welt. Der Name Alois war schon »gebraucht«, da bereits das zehnte Kind diesen Namen erhalten hatte, welches aber nach fünf Monaten zu Grabe getragen werden musste. Dieses Schicksal hatten fünf der Kinder, welche das erste Lebensjahr wegen Atemwegsproblemen nicht überlebten. Die Familie bewohnte in Himmlingsweiler ein winziges Häuschen, in dem es mit zehn Personen sehr beengt zuging. So mussten sich die kleineren Kinder immer ein Bett zu zweit oder zu dritt teilen. Auch Alois Schnellinger und andere Geschwister litten unter Bronchitis- und Asthma-Erkrankungen. Meist war Schmalhans Küchenmeister, da das unregelmäßige Einkommen des Vaters hinten und vorne nicht reichte.

Mit sechs Jahren wurde Alois Schnellinger in der neuen Grundschule in Fachsenfeld eingeschult: etwa 50 Kinder unterschiedlichen Alters wurden gemeinsam in einer Klasse unterrichtet. Nach der Schule lernte Alois Schnellinger das Handwerk des Korbflechtens bei seinem Vater und half diesem bei der Herstellung und beim Verkauf der Korbwaren. Das Verkaufen war mühsam: als fliegende Händler zogen die Handwerker meist zu Fuß über Land und waren oft ein bis zwei Wochen unterwegs, bis alles verkauft war.

Alois Schnellingers Vater starb im Alter von 62 Jahren, zwei Jahre später starb seine Mutter mit 57 Jahren an einem Lungenleiden. Mit 18 Jahren war Alois Schnellinger somit Vollwaise. Da er noch nicht volljährig war und kein Verwandter ihn aufnehmen konnte, entschied das Jugendamt, ihn im St. Konradihaus Schelklingen in der Nähe von Ulm unterzubringen, einer Anstalt für elternlose oder schwer erziehbare Jugendliche. An seinem 21. Geburtstag, am Tag seiner Volljährigkeit, wurde er entlassen. Alois Schnellinger zog es zurück nach Fachsenfeld, seinem Heimatort.

Seine Eltern waren tot und sein Elternhaus verwaist, so suchte er erstmal Unterschlupf bei seiner verheirateten ältesten Schwester oder bei anderen Verwandten. Das wenn auch geringe Einkommen des Vaters fehlte, und so musste Alois Schnellinger sich irgendwie selbst durchs Leben schlagen. Sein Überleben versuchte er mit Gelegenheitsarbeiten oder Korbflechten bei Bauern zu sichern. Letztlich blieb es unausweichlich, daß er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kam. So wurde er häufiger wegen Bettelns angezeigt, was damals ein Straftatbestand war. Auch wurde Alois Schnellinger öfters bei Schwindeleien erwischt. So erbettelte er z.B. bei einem evangelischen Pfarrer ein Neues Testament, welches er aber wieder verkaufen und das Geld vertrinken wollte, woraufhin ihn der Pfarrer anzeigte. Als Betrug wurde diese Tat eingestuft.

Ein Krankenhausaufenthalt in der Stephanspflege in Wasseralfingen löste einen längeren Schriftverkehr zwischen der zuständigen Ortsfürsorgebehörde und dem Schultheißenamt Fachsenfeld zwecks Kostenübernahme der Behandlung aus. Dieser gipfelte in einer Empfehlung des Bürgermeisters, den Alois Schnellinger in ein »Arbeitshaus« einzuweisen. Bei vielen Gerichten im Ländle war er bald ein »alter Bekannter«. Manchmal zeigte ein nachsichtiger Richter Verständnis für seine Situation, urteilte auf »Notbetrug«, erließ ihm eine Strafe oder setzte sie zur Bewährung aus. Meist aber wurde er zu Haftstrafen zwischen zwei Tagen bis drei Monaten verurteilt, die er auch antreten musste. Aufgrund der andauernden Asthmaanfälle beantragte Alois Schnellinger eine Invalidenrente, die aber nicht genehmigt wurde, da er mit 24 Jahren dafür zu jung gewesen sei.

Von nun an ging´s bergab

1935 – Alois Schnellinger war gerade 28 Jahre alt – begann der Abstieg mit einem Prozess vor dem Amtsgericht Ellwangen. Minutiös listete der Staatsanwalt zwei Seiten mit »Untaten« auf, denen sich der Delinquent Alois Schnellinger schuldig gemacht hatte, und wegen denen er schon mehrfache Gefängnisaufenthalte hinter sich gebracht hatte. Im Wesentlichen waren das mehrfacher Bettel, Betrug im Reich, Notbetrug, Unterschlagung und Landstreicherei. Die beiden Schöffen sprachen Alois Schnellinger schuldig und der Richter fällte sein Urteil: drei Monate und 15 Tage Gefängnis, zusätzlich eine Woche Haft und anschließende Unterbringung in einem »Arbeitshaus« bzw. »Asyl«, also einem Obdachlosenheim.

Unmittelbar nach dem Urteil wurde Alois Schnellinger ins Gefängnis Schwäbisch Hall transportiert. Auf dem Einweisungsschein notierte der Vollzugsbeamte unter »Körper- und Gesundheitszustand: nicht gut«. Bei der Eingangsuntersuchung dokumentierte der Gefängnisarzt am 21. Mai 1935 Lungenprobleme und empfahl Einzelhaft wegen des Hustens und nur leichte, staubfreie Arbeiten. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft musste Alois Schnellinger wegen heftiger Asthmaanfälle ins Gefängnis-Spital verlegt werden. Dort stellte man schnell fest, daß Alois Schnellinger mit seinem »schweren Asthma der Lunge« nicht zu einer »gescheiten Arbeit« brauchbar war und bemühte sich, ihn in die Invalidenabteilung der Strafanstalt Hohenasperg bei Ludwigsburg versetzen zu lassen, was auch erfolgreich war.

Bei der Aufnahme in Hohenasperg am 17. Juni 1935 wurde im Hausärztlichen Gutachten ein Lungen-Emphysem, eine chronische Lungenerkrankung, und eine beschränkte Arbeitsfähigkeit dokumentiert. Zwei Wochen später stellte der Hausarzt fest, daß »staubfreie Arbeit« wenn möglich im Freien angezeigt wäre, Schnellinger aufgrund seines Gesundheitszustandes aber nicht als ständiger Außenarbeiter geeignet sei. Dessen ungeachtet wurde der Alois Schnellinger mit Strohmattenmachen beschäftigt. Schon nach zwei Monaten sollte Alois Schnellinger aufgrund seines Gesundheitszustandes an das Klinikum Ludwigsburg überstellt werden mit anschließender Einweisung in das Arbeitshaus. Bei der Entlassung wurde der Befund dokumentiert: »asthmatische Anfälle, ausgedehnte Bronchitis«.

Die Entlassung ins Krankenhaus nutzte Alois Schnellinger jedoch zur Flucht. Sein Ausflug in die Freiheit war allerdings nur von kurzer Dauer: auf seiner Flucht Richtung Heimat wurde er in Fellbach geschnappt und von der Ortspolizei mit einem akuten schweren Asthmaanfall ins Krankenhaus Waiblingen eingeliefert. Dort wurde er sieben Wochen lang behandelt. Die Krankenhaus-Verpflegungskosten von 373,80 Reichsmark führten wieder zu umfangreichem Schriftverkehr der beteiligten Behörden, da bei Alois Schnellinger selbst ja nichts zu holen war.

Am 15. Oktober 1935 wurde Alois Schnellinger endgültig im »Arbeitshaus« Vaihingen/Enz auf Schloss Kaltenstein abgeliefert. Im Aufnahmebuch unter der laufenden Nummer 117 wurde lapidar vermerkt: »katholisch, ledig, Hilfsarbeiter, arbeitsfähig« und »Dauer der Einweisung: unbestimmt«. Ob es eine ärztliche Untersuchung gab, ist nicht dokumentiert, ebenso wenig, mit welchen Arbeiten der Alois Schnellinger beschäftigt wurde. Die Historiker Nils Steffen und Jasmin Sommer stellten jedoch fest, dass »die Gefangenen Fußmatten für Daimler-Benz herstellten, in der Korbmacherei beschäftigt waren und Bastschuhe und -taschen sowie Elektrokleinteile anfertigten. Die Arbeitszeit betrug in der Zeit vom 15. März bis zum 15. Oktober an den Werktagen zwölf Stunden, in den übrigen Monaten mussten die Häftlinge zehn Stunden arbeiten.«

Es ist daher anzunehmen, daß der Gefangene Schnellinger trotz seines schlechten Gesundheitszustands wieder mit Fußmatten-Herstellung und Korbmacherei beschäftigt wurde. Bei diesen Arbeitsbedingungen und Schnellingers Krankengeschichte blieben weitere Krankenhausaufenthalte nicht aus: zwölf Wochen vom 4. Dezember 1935 bis 26. Februar 1936 und vier Wochen vom 7. September 1936 bis 8. Oktober 1936. Die letzte Krankenhaus-Einweisung erfolgte etwa Anfang März 1937 – am 8. März 1937, vormittags um 10 Uhr, starb Alois Schnellinger nach 17 Monaten Zwangsaufenthalt im »Arbeitshaus« Vaihingen mit nicht einmal 30 Jahren einen einsamen Tod im Kreiskrankenhaus Vaihingen.

Der letzte Akt

Zwischen Dezember 1936 und März 1937 führten die beteiligten Behörden wieder einen ausgiebigen Schriftverkehr zur Übernahme angefallener Kosten. Letztlich stellte der Bürgermeister von Fachsenfeld fest, daß der einzige Besitz des Alois Schnellinger ein von seiner Mutter ererbtes Bett war, das aber zur Hälfte seinem Bruder gehören würde und ziemlich wertlos sei.

Als Leiche Nr. 12/37 wurde der Leichnam Alois Schnellingers mit der Todesursache »Lungen TB« an das Anatomische Institut der Universität Tübingen geliefert. Erst zehn Tage nach Alois Schnellingers Tod wurden seine Geschwister vom Standesamt Aalen über sein Ableben informiert.

Gastautor: Michael Starz, Oktober 2023


Quellen und Literatur

  • Anatomisches Institut der Universität Tübingen, Einlieferungsliste von Vaihingen/Enz
  • Archiv Stadt Aalen, verschiedener Schriftverkehr zwischen Bürgermeisteramt Fachsenfeld und Fürsorgestellen
  • Einweisungshauptbuch Nr. 81/1-100/3 Arbeitslager Vaihingen
  • Nils Steffen/Jasmin Sommer, »Ein Tod auf Schloss Kaltenstein – Das Arbeitshaus für Männer in Vaihingen/Enz«, in: Eva Schöck-Quinteros/Sigrid Dauks (Hrsg.): »Aus Gründen der inneren Sicherheit des Staates«. Ausweisung, Verfolgung und Ermordung des Bremer Arbeiters Johann Geusendam (1886–1945), Bremen 2009, S. 205–221.
  • Landesarchiv Baden-Württemberg Staatsarchiv Ludwigsburg E 356 d V Bü 2924 (Strafanstalt Ludwigsburg mit Zweiganstalt Hohenasperg: Gefangenenpersonalakten: Dokumente und Schriftverkehr der Haftanstalten Schwäbisch Hall und Hohenasperg)
  • Stadtarchiv Vaihingen, Sterberegister