Franciszek Gacek

Portraitfoto
Alter:
27 Jahre
Namensschreibweisen:
Franciszek Gacek (Quelle: Arolsen Archives, Leichenbuch, Verzeichnis)

Franz (Arolsen Archives)
Geburtsort:
Zaskale (27.05.1914) (Quelle: Arolsen Archives, Leichenbuch, Verzeichnis)
Gemeinde: Szaflary
Kreis: Nowy Targ
Gebiet: Woj. Małopolskie (Kleinpolen)
Todesort:
Grab, Kr. Backnang (23.04.1942) (Quelle: Arolsen Archives, Leichenbuch, Verzeichnis)
Todesursache:
Erhängen exek. (Quelle: Leichenbuch, Verzeichnis)
Nationalität:
Polen (Quelle: Verzeichnis)
Zuordnung:
Hingerichtete, Zwangsarbeiter:in

Franciszek Gacek wurde 1915 als fünftes Kind einer Bauernfamilie im südpolnischen Zaskale unweit von Zakopane geboren. Die Lebensbedingungen waren hart. Sein ältester Bruder war schon vor seiner Geburt nach Argentinien ausgewandert. Wie seine Geschwister musste Franciszek von klein auf in der elterlichen Landwirtschaft und beim Nachbarn mithelfen. Bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Polen arbeitete er in einer Ziegelei, lediglich unterbrochen durch seinen Militärdienst in den Jahren 1933 und 1934.

Polnischer Zwangsarbeiter

Schon im Herbst 1939 wurden die ersten polnischen Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte nach Deutschland gebracht. Gleichzeitig versuchte das NS-Regime, in der Tradition der Saisonarbeit »Freiwillige« anzuwerben. Aber trotz sozialer Not und hoher Arbeitslosigkeit im besetzten Polen brachte dies nicht den gewünschten Erfolg. So gingen die deutschen Behörden dazu über, für jedes Dorf Pflichtkontingente für Arbeitskräfte festzulegen.

Laut Aussagen der Angehörigen kam auch Franciszek Gacek auf diese Weise ins Deutsche Reich. Der örtliche Bürgermeister musste Anfang 1940 drei junge Männer für den Arbeitseinsatz bestimmen, und da Franciszek noch zwei Brüder hatte, wurde er zwangsverpflichtet. Die eigenen drei Söhne soll der Bürgermeister übersehen haben.

Franciszek Gacek als »Fremdarbeiter« in Mannenweiler

Franciszek Gacek wurde ins ostwürttembergische Mannenweiler verschleppt und musste dort als Dienstknecht bei dem Bauer Wilhelm Klenk Zwangsarbeit leisten. Das Verhältnis zwischen beiden scheint dennoch recht gut gewesen zu sein. So bescheinigte Klenk in einem Spruchkammerverfahren nach dem Krieg seinem ehemaligen Knecht: »Dem Polen kann ich nur das beste Zeugnis geben. Er war treu und zuverlässig und hat sich vor keiner Arbeit gescheut.« Auch Franciszek hatte seiner Familie angeblich brieflich mitgeteilt, dass es ihm sehr gut gehe. Dafür sprechen nicht zuletzt die Fotos, die er seinen Verwandten geschickt hatte. Da Zwangsarbeiter keinen Fotoapparat besitzen durften, stammten die Aufnahmen wahrscheinlich von der Familie Klenk oder von einem Nachbarn.

Auf dem Nachbarhof, der von Wilhelm Weller bewirtschaftet wurde, arbeitete eine junge Frau als Magd. Sie fand Gefallen an dem gut aussehenden jungen Mann aus Polen. Und so entwickelte sich ein heimliches Verhältnis zwischen Anna Schaaf und Franciszek Gacek. Sie war 24, er 27 Jahre alt. Wie lange die Geschichte ging, bis das Verhängnis seinen Lauf nahm, ist nicht bekannt, auch nichts darüber, welche Schnüffler oder Neider bei der Polizei in Murrhardt eine Anzeige erstatteten.

Das Verhängnis nimmt seinen Lauf

Im Herbst 1941 kam Gendarmerie-Wachtmeister Gelchsheimer aus Murrhardt nach Mannenweiler. Jemand hatte ihm mitgeteilt, Franciszek Gacek »habe etwas« mit der deutschen Magd. Von den beiden Bauern scheint der Polizist nichts erfahren zu haben. So kam er nach etwa einer Woche wieder und soll Wilhelm Klenk laut der Spruchkammer-Akte angeschrien haben: »Vor acht Tagen war ich bei Ihnen, von draußen muss man es erfahren, aber aus Ihnen bringt man nichts heraus.« Gelchsheimer vernahm nun Anna Schaaf. Er soll der jungen Frau so zugesetzt haben, dass sie ohnmächtig wurde. Schließlich legte sie das Geständnis ab, mit Franciszek Gacek Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Klenk meinte später dazu: »Nur durch geschicktes Manöver gelang es … Gelchsheimer das Mädchen zu überlisten.« Anschließend nahm der Polizist beide fest.

Wilhelm Weller soll mehrmals vergeblich versucht haben, die beiden wieder freizubekommen. Auch Anna Schaafs Bruder reichte ein Gesuch ein, das von Weller unterstützt wurde. Darauf forderte sie der örtliche Bürgermeister auf, die Sache ruhen zu lassen.

Verhaftung und Einweisung ins KZ

Franciszek Gacek saß zunächst in Stuttgart in Haft, später wurde er ins KZ nach Welzheim überstellt. Was er dort durchgemacht hat, kann man sich nach den entsprechenden Veröffentlichungen ausmalen. Im harten Winter 1941/42 mussten die Häftlinge ohne Socken in Holzschuhen unter brutalen Schikanen der Aufseher die Wege freimachen. Über Gaceks Schicksal entschied das Reichssicherheitshauptamt. Von dort kam die Anweisung nachzuprüfen, ob der Pole arische Merkmale (blaue Augen, blonde Haare) aufweise. Sollte dies der Fall sein, könne er »eingedeutscht« werden. Andernfalls sollte er erhängt werden.

Hinrichtung im Staatswald

Als es im Fall Gacek zur Bekanntgabe der Hinrichtung kam, zeigte sich Karl Birk, der örtliche Bürgermeister, verwundert, wie es so weit kommen konnte. Tatsächlich aber hatte er sämtliche Gnadengesuche blockiert. Als überzeugter Nationalsozialist musste er sich der Folgen seiner Handlungen bewusst und damit einverstanden gewesen sein. Jetzt sollte er als zuständiger Bürgermeister den Platz für die Errichtung des Galgens aussuchen. Da er den nicht in seiner Gemeinde haben wollte, bestimmte er eine Stelle gleich hinter der Gemeindegrenze im Staatswald von Wolfenbrück. Ein Gemeindearbeiter musste ein viereckiges Loch für den Galgen ausheben.

Am 21. April 1942 ging ein Schreiben an den Bürgermeister von Grab mit der Ankündigung von Gaceks Hinrichtung und dem Befehl zur Teilnahme, unterschrieben von Hans Engelbrecht, dem stellvertretenden Leiter der Staatspolizeileitstelle Stuttgart. Franciszek Gacek wurde von Gestapo und SS mit Galgen und Sarg von Welzheim zur Hinrichtungsstelle gebracht. Der mobile Welzheimer Galgen hatte nur drei Stufen. Die geringe Fallhöhe verursachte einen qualvollen Tod durch Ersticken.

Die Polizei hatte aus den Nachbarorten sämtliche polnischen und ukrainischen Fremdarbeiter zur Hinrichtungsstelle zu bringen. Sie sollten sich ansehen, was mit denen geschieht, die sich mit deutschen Frauen einlassen, und einige von ihnen wurden dazu gezwungen, die Hinrichtung durchzuführen. Unter den Zuschauern waren auch zwei, die aus Franciszeks Heimatort stammten. Sie berichteten bei ihrer Heimkehr nach dem Krieg über das furchtbare Geschehen, wie die Familie später schrieb:

»Das ganze Dorf soll sich versammelt haben, irgendwo im Dorf ist ein Galgen aufgestellt worden und sie verurteilten unseren Onkel zum Tod durch Erhängen. Vorerst aber haben sie ihm alte Lumpen angezogen, über den Kopf haben sie ihm einen Sack gezogen und ihn mit verschiedenen Sachen behängt, z.B. mit Glöckchen. So wurde er durch das Dorf gejagt, mit Steinen von der Menschenmenge beworfen. Mit letzten Kräften ist er an den Platz gekrochen, wo er hingerichtet werden sollte. Wahrscheinlich hat er sich selbst den Strick um den Hals gelegt. Den Rest machte schon der Henker. So fand seine schreckliche Qual ein Ende.
Den Kameraden von unserem Onkel ist es gelungen, der Hölle zu entkommen. Wie ich schon sagte, sie kehrten ein paar Jahre nach dem Krieg in unser Dorf zurück und erzählten uns die Geschichte. Bis ans Lebensende wurden sie von Alpträumen gequält … Wir glauben auch, dass die Geschichte, die uns die Kameraden des Onkels erzählt haben, der Wahrheit entspricht. Das war ein großer Schmerz für unsere Eltern. Sie haben es bis an ihr Lebensende nicht vergessen.«

Sicher dürfte in dem Bericht der Kameraden einiges ausgeschmückt oder womöglich in ihrem Gedächtnis mit ähnlich schrecklichen Erlebnissen vermischt worden sein. Gesichert ist, dass der Galgen in einem Waldstück nahe Mannenweiler an der Straße nach Wolfenbrück stand, und dass die Hinrichtungsstelle für die Zivilbevölkerung abgesperrt war.

Nach der Hinrichtung nahmen die Gestapo- und SS-Leute die Leiche mit. Sein Leichnam wurde in die Anatomie der Universität Tübingen gebracht. Den Vollzug der Hinrichtung meldete die Gestapo Stuttgart ordnungsgemäß der Gemeindeverwaltung Grab. Und so findet sich auch im Sterberegister der Eintrag des Bürgermeisters und Standesbeamten Karl Birk über das Ableben des Opfers.

Das weitere Schicksal von Anna Schaaf

Zwei Tage nach Franciszeks Ermordung wurde Anna Schaaf verhaftet und am 25. April 1942 in das Frauenarbeitslager Ravensbrück verbracht. Deutsche Frauen, die mit Polen, und polnische Zwangsarbeiterinnen, die mit deutschen Männern Beziehungen hatten, mussten den roten Winkel der politischen Häftlinge tragen. »Um sie jedoch von anderen ›wahren‹ Politischen zu unterscheiden, bezeichneten die übrigen Frauen im Lager sie erbarmungslos als ›Bettpolitische‹«, so Sarah Helm. Häufig waren diese Frauen bei ihrer Ankunft in Ravensbrück schwanger und wurden zur Abtreibung gezwungen. Dass dies auch bei Anna Schaaf der Fall war, geht aus den Quellen nicht hervor. Allerdings hatten die Kameraden Franciszeks in ihrem Bericht an seine Familie von einer Schwangerschaft gesprochen.

Anna Schaaf wurde erst am 12. Februar 1945 aus Ravensbrück entlassen. Ihre körperliche und psychische Gesundheit war ruiniert, als sie kahlköpfig in Wolfenbrück ankam. Sie arbeitete dort anschließend wieder als Magd bei Bauern und bekam einen Pfleger bestellt. Dieser stellte einen Antrag auf Unterhaltshilfe und Wiedergutmachung, da sie »durch Misshandlungen und Entbehrungen … krank nach Hause gekommen und mit dauernden Anfällen behaftet…« sei. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 7. Dezember 1952 abgelehnt. Laut Bescheid erfüllte Anna Schaaf nicht den »Verfolgungstatbestand«, da sie nicht »nachweislich unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft … wegen ihrer politischen Haltung, ihres Glaubens, ihrer Weltanschauung oder ihrer Rasse in Haft genommen wurde…«. Anna Schaaf starb im Alter von nur 48 Jahren am 30. Dezember 1965.

Die Verantwortlichen wurden nie zur Rechenschaft gezogen.

Notwendigkeit der Erinnerung

Auch in der engeren Umgebung des Geschehens tut man sich schwer mit der Erinnerung. Der Autor bekannter Kinder- und Jugendbücher, Josef Holub, der in Großerlach wohnte, hat das in seiner Festrede zum 150jährigen Jubiläum seiner Gemeinde so beschrieben: »Man erinnert sich nicht gern an einen Polen, der gehängt wurde, weil er aus einem minderwertigen Volk stammte und so vermessen war, ein deutsches Mädchen zu lieben.« Noch 1998 bleibt dieser Pole in einer öffentlichen Rede namenlos. Doch ein paar Jahre später widmet ihm Holub eine eigene Geschichte mit viel dichterischer Freiheit des Geschehens, aber mit der Nennung seines Namens.

Den Opfern ihren Namen zu geben und für ihre Familie und die ganze Gesellschaft ihr furchtbares Schicksal dem Vergessen zu entreißen, das war auch die Motivation für den Beginn der Recherchen zu diesem Bericht vor fast 25 Jahren. Erst als Marianna Udziela, eine Nichte des Opfers, nach vielen Jahren aus den USA zurückkam und die 10 Jahre alten Briefe des Autors im Familien-Nachlass fand, meldete sie sich Anfang 2018. Sie äußerte den Wunsch, die Grabstelle ihres Onkels in Tübingen zu besuchen. So fanden diese Recherchen einen zufriedenstellenden Abschluss und eine wertvolle Ergänzung mit weiteren Fakten und Bilddokumenten.

So kam es am 7. April 2018 zu einem Treffen mit vier Verwandten des Opfers am Tübinger Stadtfriedhof mit dem Autor und seiner Frau, dem Kulturwissenschaftler und Publizisten Udo Grausam und Margit Aldinger vom Tübinger Lern- und Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus e.V. (LDNS).

Die Gäste legten am Gräberfeld X bei der mittleren Platte links mit dem Namen von Franciszek Gacek ein großes Blumengesteck in den polnischen Nationalfarben mit Schleife »Pamietamy Rodzina z polski« (In Erinnerung – Deine Familie aus Polen) nieder.

Nach mehreren Veröffentlichungen und einer Initiative »Gedenken F. Gacek« wurde es möglich, die Öffentlichkeit und lokale Entscheidungsträger für die Aufstellung eines Gedenksteins für den Ermordeten zu gewinnen. Er wurde am 23. April 2022, dem 80. Todestag, im Rahmen einer feierlichen Gedenkstunde unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit aufgestellt. Dazu waren zahlreiche Verwandte der Familie Gacek aus Polen angereist. Die Bürgermeister der beteiligten Gemeinden Großerlach, Murrhardt und Oberrot sprachen Gruß-, Gedenk- und Mahnworte. Der Autor skizzierte in einer Gedenkrede kurz das Geschehen und betonte die Notwendigkeit der Erinnerung, um für die Familie und die Öffentlichkeit das furchtbare Geschehen dem Vergessen zu entreißen. Die Nichte des Ermordeten, Marianna Udziela, erinnerte in einer bewegenden Botschaft daran, dass ihr Onkel nicht der Liebe, sondern dem Rassenhass zum Opfer gefallen sei. Eine besondere Würdigung war der Song »Was, wenn es doch nur Liebe war?« des Großerlacher Bürgermeisters Christoph Jäger als Liedermacher Chris.

Inzwischen ist der Gedenkstein mit dem dargebotenen Song von Liedermacher Chris eine Station (»Der Tod«) auf dem 13,2 km langen Themenwanderweg »Weg der Lieder« im Schwäbischen Wald.

 

Gastautor: Walter Schieber, Juni 2023


Quellen und Literatur

Brief von Angehörigen der Familie Gacek aus Nowy Targ in einem ersten Antwortschreiben an den Autor vom Februar 2008, wiedergegeben in einer Übersetzung aus dem Polnischen.

Fechter, Armin, »Was – wenn es doch nur Liebe war«, in: Backnanger Kreiszeitung, 25.04.2022; S. 23.

Helm, Sarah, Ohne Haar und ohne Namen. Im Frauen – Konzentrationslager Ravensbrück, Darmstadt 2016.

Holub, Josef, Der Schemel, in: Sartorius, Wolfgang, Ukraine, Erlach und zurück. Ein Erlacher Lesebuch mit einem Vorwort von Erhard Eppler, Reutlingen o. J.

Keller, Gert/Wilson, Graham, Konzentrationslager Welzheim. 2 Dokumentationen, Welzheim o.J.

Mitteilungsblatt der Gemeinde Großerlach mit Gemeindebezirk Grab, Nr. 30/1998, S. 3.

Schieber, Walter, »Es sei denn, er habe gar blaue Augen und blondes Haar«. Das Schicksal des polnischen Zwangsarbeiters Franciszek Gacek und der Deutschen Anna Schaaf. Berichtigungen und Ergänzungen zum Beitrag im Backnanger Jahrbuch 2019, in: Backnanger Jahrbuch (2022), S. 157–165.

Schönhagen, Benigna, Das Gräberfeld X. Eine Dokumentation über NS-Opfer auf dem Tübinger Stadtfriedhof. Tübingen 1987.

Schreiben des Reichssicherheitshauptamts, Staatsarchiv Ludwigsburg 4/6/664 Bü 2846.

Spruchkammer-Akte, Staatsarchiv Ludwigsburg EL902/3 – 4/1600.

Spruchkammer-Akte, Staatsarchiv Ludwigsburg 4/31/2853.

Wiedergutmachungsakten Anna Schaaf, Staatsarchiv Ludwigsburg 350 I Bü 7540.