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Zur polnischen Recherche bisher

 

Mit etwa 100 Personen [1] machen die Opfer polnischer Nationalität einen nicht unerheblichen Anteil der insgesamt 1078 Menschen aus, die während der NS-Zeit in die Tübinger Anatomie eingelieferten wurden. Dementsprechend haben wir uns als Forschungsteam von Anfang an mit dieser Opfergruppe intensiv beschäftigt. Leider konnten die ursprünglich geplanten Dienstreisen zu Staats- und Gemeindearchiven in Polen bisher pandemiebedingt nicht realisiert werden. Daher mussten wir uns bislang auf Online-Recherchen und schriftliche Anfragen beschränken.

Bevor wir jedoch mit diesem Schritt überhaupt beginnen konnten, mussten zunächst die Personen- und Ortsnamen auf Fehler überprüft werden; Ein Blick auf die Liste zeigte nämlich, dass auffällig viele der Polen – mit vier Ausnahmen handelt es sich ausschließlich um Männer – deutsche Vornamen und ungewöhnlich geschriebene Nachnamen aufwiesen. Natürlich konnten wir deutsche Vornamen nicht von vorneherein ausschließen: Besonders in multikulturellen Städten wie Lodz oder Danzig war dies in der Zwischenkriegszeit durchaus üblich. Hinzu kommt, dass viele der Betroffenen noch vor der Neugründung Polens 1918 geboren wurden und eventuell Staatsangehörige anderer Länder wie Deutschlands oder des Habsburger Reichs waren. Doch die Vielzahl dieser Namen in Verbindung mit den verifizierbar falsch geschriebenen Ortsnamen ließ darauf schließen, dass die Namen der polnischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter im Leichenbuch der Anatomie inkorrekt eingetragen waren – ob wegen Gleichgültigkeit der deutschen Behörden oder weil die Polen ihre Namen selbst anders angegeben hatten, wird wohl nicht mehr rekonstruiert werden können.

Mit fortschreitender Recherche konnten wir allerdings einige Namen korrigieren, beispielsweise Stanislaus zu Stanisław und Dombrowka zu Dąbrówka. Sehr hilfreich bei diesen Korrekturen war das Portal Straty, welches Personensuchen nach verschiedenen Parametern wie Geburtsort und -datum ermöglicht und Informationen aus wichtigen Beständen wie denen der Wehrmacht oder des polnischen Roten Kreuzes enthält.

Äußerst fruchtbar hat sich auch eine Anfrage beim Zentralen Kriesgefangenenmuseum in Łambinowice bei Oppeln erwiesen: Von dem Museum haben wir Listen zu 18 Personen aus Stammlagern erhalten, denen wir wertvolle Informationen wie die Namen der Eltern und die Anschrift vor dem Krieg entnehmen konnten.

Doch nicht nur der Schriftverkehr mit ausländischen Archiven machte sich bezahlt; auch der Kontakt zu Privatpersonen brachte uns weiter. Dank der Familie Weiss aus Calw haben wir zu zwei polnischen Kriegsgefangen eine für uns seltene Art von Quellen: Bilder[2]. Letztlich lohnte sich sogar das einfache „Googlen“ der Namen, wodurch wir auf einige hilfreiche Zeitungs- und Wikipedia-Artikel gestoßen sind.

Aktuell sind wir vor allem mit der Korrespondenz mit polnischen Archiven und Standesämtern beschäftigt, welche uns bereits einige Geburtsurkunden zukommen lassen haben. Zudem erwarten wir in Kürze eine Dokumentensammlung des polnischen Instituts für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej IPN), welches die Bestände der nach dem Krieg gegründeten Hauptkommission für die Erforschung nationalsozialistischer Verbrechen in Polen übernommen hat.

Auch wenn die Erforschung der Biographien noch nicht abgeschlossen ist, wollen wir im Januar und Februar 2022 an die polnischen Opfer im Gräberfeld X auf besondere Weise erinnern. Hierfür haben wir eine Lesereihe konzipiert, welche sich auf biographischer, aber auch literarischer Ebene mit dem Thema der polnischen Zwangsarbeit im „Dritten Reich“ auseinandersetzen wird. Hierzu folgen in Kürze weitere Informationen auf unserer Webseite.

 

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[1]Die Nationalität kann nicht in allen Fällen mit Sicherheit festgestellt werden, weshalb aktuell keine genaue Zahlenangabe möglich ist.

[2] Einige dieser Bildquellen sind auf unserem Twitter Account zu sehen, u.A. bei der Kurzbiographie zu Marian Tomczak.